Lebenswelt als politisch relevanter Begriff

Gérard Raulet

Abstract


Das semantische Feld des Lebensweltbegriffs dehnt sich auf Ontologie („In-der-Welt-Sein“), Anthropologie, Biologie, Naturwissenschaften überhaupt, sowie auf Soziologie aus. Mittlerweile ist aber auch ein inflationärer journalistischer Gebrauch festzustellen, der gleichsam den umgangssprachlichen, „lebensweltlichen“ Charakter des Lebensweltbegriffes bestätigt. Dies macht zugleich seine Stärke und seine Schwäche aus. Dem originären Husserl’schen Lebensweltbegriff selbst hat man deshalb seine Verschwommenheit oder gar Widersprüchlichkeit vorgeworfen, bezeichnet er doch einen Horizont von Horizonten – und zudem einen jeweils persönlichen, den meinigen, der mich in meinem Hier-Sein mit den Horizonten anderer Menschen verbindet. Von der Beobachtung ausgehend, dass der Husserl’sche Begriff von Geburt an sowohl wissenschafts- als auch kulturkritisch beladen ist und dass der Schein unmittelbarer Selbstverständlichkeit, mit der auf die Lebenswelt verwiesen wird, sich rasch als Reaktion auf eine Krisensituation – nämlich auf einen Verlust der Übersichtlichkeit – entpuppt, wird im folgenden Aufsatz versucht, das Verhältnis des Lebensweltbegriffs zur Politik und seine analytische Brauchbarkeit zu hinterfragen.

Schlagworte


Lebenswelt; Politik; Husserl; Habermas; Luhmann

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Literaturhinweise


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DOI: http://dx.doi.org/10.17951/kw.2014.12.45
Date of publication: 2015-05-27 11:00:17
Date of submission: 2015-05-27 09:55:30


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